Digitale Transformation, Fachkräftemangel, Human Ressources und Zeitenwende
Buzzwords! Ich hasse Sie, geht es Ihnen ebenso?
Häufig werden sie genau da genutzt wo fehlendes Wissen durch komplexe Begriffe kaschiert werden soll. Ich erlebe nahezu täglich Führungskräfte/Teamleiter/Geschäftsführer deren innere Haltung zum Thema aus der Zeit gefallen ist. Dabei stehen wir wohl tatsächlich vor bzw. inmitten einer (Achtung Buzzword!) Zeitenwende. Die wird nur etwas anders aussehen, als es sich die mit diesen Worten umherwerfenden „Führungskräfte“ das so vorstellen. Betrachte ich die Zustände in unserem Land, fragt man sich mitunter ob das wirklich real ist.
Vielleicht kennen sie das, manchmal im Leben schlägt einem die Erkenntnis mit brutaler Härte ins Gesicht – plötzlich kommt es zu einem persönlichen Erkenntnissprung. Man sieht etwas völlig klar, so dass einem Zweifel Dritter und Diskussionen dazu völlig gleichgültig sind. Jene ruhige, tiefe Gewissheit habe ich vor wenigen Tagen erlangt – im Kontext der Digitalisierung und den damit verbundenen Auswirkungen auf unser künftiges Arbeitsleben. Der hier sich anbahnende Umbruch kann meiner Ansicht nach gar nicht hoch genug bewertet werden. Ich sehe eine ähnliche Dimension, wie sie mit dem Wechsel vom Pferd hin zu motorgetriebenen Transportmitteln verbunden war.
Und genau hier beginnt der Irrsinn: Es ist nahezu egal in welchem Bereich – überall begegnen mir Tag für Tag desaströse Digitalisierungs-Umsetzungen die zu zwei fatalen gesellschaftlichen Wahrnehmungen führen. Zum einen wird der Eindruck erweckt, dass Digitales unbedingt kompliziert und völlig an den Bedürfnissen eines Normalsterblichen vorbei entwickelt sein müsse, weil das nur eingeweihte Nerds aus dem IT Bereich verstehen sollen. Zum zweiten erleben die Leute sich als Diener der Systeme – anstelle diese zu nutzen um wiederkehrende Tätigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren und dadurch mehr persönlichen Freiraum zu gewinnen.
Dabei ignorieren wir den Umstand das Technik von MENSCHEN gedacht, entwickelt und betreut wird. Zudem bietet jede Effizienzsteigerung das gleiche Potential in Richtung einer Verschlechterung des Ausgangszustandes. Ein kleiner Fehler in der Konfiguration kann digital einen riesigen Schaden anrichten, der im analogen Bereich so gar nicht möglich wäre. Die Auswirkungen erleben wir alle gerade in so ziemlich jedem Lebensbereich. Meiner Ansicht nach liegt hier auch eines der ganz großen Übel unserer Zeit – zumindest dann, wenn es uns nicht gelingt endlich zu kooperieren anstatt zu konkurrieren.
Was hat das mit unserem Arbeitsleben zu tun?
Werter Leser, Alles! Beobachtet man die demografischen Effekte (Zahl Erwerbstätiger schrumpft), den Wegfall von Tätigkeiten durch Automation und Robotik sowie die Haltung der nächsten Generation zur heutigen Pyramiden-Organisation in der Arbeitswelt liegt es eigentlich auf der Hand.
Ein „weiter so“ wird nicht funktionieren. Die Reduktion menschlicher Fähigkeiten auf Lebenslauf, Zertifikate und uralte Ausbildungsnachweise scheitert jetzt bereits überall sichtbar. Ausbildungen in einem extrem schmalen Kanal mit max. Spezialisierung um in Unternehmen ein Leben lang die gleichen Tätigkeiten – einem Roboter nicht unähnlich auszuführen wird es so zunehmend weniger geben. Ich gehe von einem Wandel in der gesamten Struktur unserer Berufsfindung aus.
Es wird künftig weitaus mehr darum gehen was wir tatsächlich können und weniger darum auf welchem Weg wir zu diesen Fähigkeiten gelangt sind. Was heute im Recruiting vieler Personaler als „Brüchiger Lebenslauf“ bereits ein Ausscheiden in der ersten Runde des Bewerbungsprozesses auslöst, wird künftig völlig anders wahrgenommen werden. Maximal breitbandige Erfahrung wird extrem begehrt sein. Ich gehe soweit, das in vielen Unternehmensbereichen gar keine konkret beschriebenen Stellen mehr ausgewiesen werden, sondern Menschen mit einem bestimmten Profil, einer entsprechenden Haltung und klaren Vorstellung vom „Wie“ und weniger vom „Was“ gesucht werden. Aus Spezialisten werden Generalisten.
Es ist doch völlig widersinnig, dass ich mich als Bewerber auf eine passende Stelle bewerben soll obwohl ich das Unternehmen und die Position gar nicht kenne. Umgekehrt soll der potentielle Arbeitgeber mich als Mensch bewerten, um den passenden Mitarbeiter zu finden – dabei kennt er mich gar nicht. Daran ändert im Wesentlichen auch das klassische Bewerbungsverfahren mit seinen Interviews und Assessments wenig.
Warum müssen Menschen sich an Stellen anpassen und nicht umgekehrt?
Genau das ist, was sich verändern wird. Unternehmen werden künftig alles daran setzen denkende Köpfen für sich zu begeistern. Dabei zählt dann eine maximale Breite an Wissen ungleich mehr als die heute geforderte enorme Tiefe in einem Minimalkorridor. Allein vor dem Hintergrund der Demografie wird die hochspezialisierte Vielfalt an Berufen und Ausbildungen, Studiengängen etc. gar nicht mehr besetzbar sein. Die Unternehmen werden keine Positionen mehr mit Mitarbeitern bestücken, sondern vielmehr Stellen nach einem Baukastenprinzip entwickeln die sich nach den individuellen Stärken, Neigungen und Wünschen des Mitarbeiters richten – Interdisziplinär und befreit von den heutigen Pyramiden-Strukturen mit Ihren Denkweisen in Abteilungen und Co.
Dabei werden die eigene Persönlichkeit, Selbsterkenntnis, Selbstreflektion, Selbstbewusstsein vor allem Im Hinblick auf die Fähigkeit hin zu echter Kooperation und dem gemeinsamen Verfolgen von Zielen ohne direkte Führung und Grenzen im Denken relevant sein. Sie werden vielleicht einwenden das dies doch längst Realität in den Unternehmen ist? Sicher, als Lippenbekenntnis oder auf bunten Tafeln auf dem Flur – in der Realität lässt sich allein am desaströsen Zustand zentraler Teile unserer gesellschaftlichen Ordnung erkennen wie weit wir von einem solchen Ziel entfernt sind.
Wer einmal selbst erleben durfte, mit welcher Effizienz, Kreativität und Geschwindigkeit ein wirkliches Team Aufgabenstellungen angeht, wer dieses warme Lächeln ums Herz, Teil von etwas das Größer als die Summe seiner Einzelteile ist einmal wahrgenommen hat, wird nicht mehr anders arbeiten wollen. Die Voraussetzungen dafür haben wir alle – leider meist nur als Kinder! Die Kunst ist folglich sich jenes innere Kind mit seiner Begeisterungsfähigkeit und unvoreingenommener Neugier, gepaart mit gnadenloser Aufrichtigkeit zu erhalten und sie um die analytischen, strukturierten und disziplinierten Fähigkeiten eines Erwachsenen zu erweitern.
Um aber nachhaltig Änderungen der heutigen Arbeitswelt und damit unserer Lebensweise herbei zu führen bedarf es einer weiteren Zutat. Wir müssen endlich aufhören die jeweils Ungeeignetesten unserer Spezies zum Anführer zu machen. Ja, ich laste es uns, den 99% der Bevölkerung an, den heutigen Zustand verursacht zu haben. Warum? Es ist – technisch ausgedrückt – eine systemimmanente (zu uns gehörende) Eigenschaft des Menschseins. Wir wollen aus purem Eigennutz Anführer, Helden und Sockel auf die wir andere wie Statuen stellen. Wir tun dies, weil wir uns dadurch Antrieb und Motivation für die eigene Leistungsfähigkeit erhoffen und gleichzeitig bewusst wie unbewusst Verantwortung auf Dritte auslagern.
Unser Fehler liegt in der Auswahl eben jener Helden. Wirklich kluge Menschen (mein Schreiben hier zeigt das ich vorläufig nicht dazu gehöre) sind leise, unaufdringlich, werden nur selten bewusst wahrgenommen und finden sich kaum unter Geschäftsführern, Politikern oder anderen Stellen der Machtausübung über Dritte. Sie beobachten aufmerksam, sind sehr bereichernde Gesprächspartner und meist an Orten zu finden wo man sie eigentlich eher nicht vermuten würde. Sie arbeiten als Sachbearbeiter, an Tankstellen, im Kiosk um die Ecke oder als Handwerker. Ihr Verständnis und Weltbild ist offen, frei jeglicher Ängste und geprägt von dem tiefen Bedürfnis uns Mitmenschen möglichst wenig zu schaden. Zeigen sie mir einen – wirklich nur einen Machtmenschen dieser Welt – dem es gelingt diesem Anspruch wenigstens einen Moment im Jahr zu genügen.
Wer sich folglich nur allzu gerne in den Vordergrund schiebt, sind diejenigen unter uns die aus Angst vor der Bedeutungslosigkeit ihres Daseins als Individuum(m) tatsächlich glauben das Machtausübung in Ihrem jeweiligen Einflussbereich und gieriger Konsum (gemeint ist das maximale Anhäufen von Ressourcen ohne über die tatsächlichen, EIGENEN Bedürfnisse nachzudenken) Ausdruck nahezu heldenhafter Intelligenz darstellen. Diese aber einfach zu verurteilen greift viel zu kurz. Wir leben in einem polaren Universum, basierend auf Ursache und Wirkung. Die unqualifizierten Machthaber dieser Welt sind eine klare Wirkung – nicht Ursache des Problems! Wir alle sind die Ursache. Um diese Geißel der Menschheit zu überwinden bedürfte es praktisch nur eines Wimpernschlages der Selbsterkenntnis – die genau, weil es so einfach ist für uns so unfassbar schwer zu erlangen scheint. Dabei haben wir alle immer wieder Gelegenheiten uns zu erkennen als das, was wir wirklich sind. Aber wie es so ist mit den klugen Dingen: Sie zeigen sich uns leise und dezent, drängen sich nicht auf, diskutieren nicht und respektieren, wenn uns die nächste WhatsApp Nachricht oder der Anruf vom Chef mal wieder wichtiger war. Und genauso verhalten wir uns dann schlussendlich auch – mit entsprechendem Ergebnis.
Ausblick
Die Lage ist ernst, sehr ernst. Damit meine ich keineswegs die medial beschworene Kriegsgefahr, den finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften oder die überall präsente Klimaproblematik. All das sind nur (Aus-)Wirkungen der gleichen Ursache. Albert Einstein sagte dazu einmal sinngemäß: Wer die Ursache eines Problems erkannt hat, muss sich nicht mehr um dessen Lösung sorgen! Das bedeutet übersetzt folglich wer stets in Lösungen denkt, hat keine Zeit sich mit den Ursachen zu beschäftigen. Er wird also wiederkehrend die mehr oder weniger gleichen Probleme lösen, weil er die Ursache nie beseitigt hat.
Merken Sie sich das, werte Manager, Führungskräfte und Entscheider die Sie mir und unzähligen Mitmenschen Tag für Tag das Sprüchlein vom „Sie müssen in Lösungen denken“ ins Gehirn prügeln wollen.
Hier schließt sich übrigens der Kreis. Mir ist bewusst, dass ich in diesem Artikel einen weiten Bogen schlage – anders vermag ich aber nicht zu vermitteln was ich sagen möchte. Wir alle sollten zügig damit beginnen uns auf persönliche Stärken zu besinnen. Wir müssen wieder selbst Dinge ausprobieren, frei vom Urteil Dritter das tun was wir wirklich können und woran wir Freude haben. Der Frontmann unserer Lieblings Band darf in unseren Herzen keinen anderen Stellenwert als die Krankenschwester oder der Verkäufer haben.
Relevant ist nicht wie wir im Wettbewerb mit anderen abschneiden (das gilt insbesondere auch für das schulische, völlig aus der Zeit gefallene Noten- und Bewertungssystem) – relevant ist wieviel des uns gegebenen Potentials wir tatsächlich nutzen. Der gierig, machtgeil und bösartig durchs Leben eilende Manager mit seiner internationalen Elite-Ausbildung nutzt dabei vielleicht 5% seiner Möglichkeiten. Hingegen die leidenschaftlich engagierte Altenpflegerin für einen Bruchteil der Wertschätzung (monetär wie gesellschaftlich) vielleicht 80% oder mehr dessen was möglich ist.
Ohne das statistisch belegen zu können würde ich den Berufstätigen in diesem Land eine Gesamtperformance (in Relation zum eigenen Potential) von ca. 25% zuschreiben. Das bedeutet folglich, dass wir mit Wohlwollen betrachtet etwa 25% der Freude und beruflichen Erfüllung die in uns steckt auch realisieren.
Wann also – frage ich sie abschließend – beginnen wir Systeme die uns Menschen unterdrücken, nachdrücklich und selbständig zu hinterfragen und nach unseren tatsächlichen Bedürfnissen umzugestalten – zum Wohle ALLER Beteiligten!